Die Halbwertszeit der Augenringe
Über Tage, Nächte und das dazwischen
Morgens um 9 ist die Welt noch in Ordnung. Man fühlt sich, noch unter Strom von der „Dynamik“ des morgendlichen Zweikinderfertigmachens trotz der nur eineinhalben Stunden Ruhe der letzten Nacht und einem chronischen Schlafmangel irgendwie wach, wenn auch auf eine zombiehafte Weise. Hat die Große in der Krippe abgesetzt, der Kleine schlummert friedlich auf dem Rücksitz, im Autoradio läuft der Shoop Shoop Song und eigentlich ist doch alles echt nicht so schlimm – wieso war ich gestern Abend denn nur so mit den Nerven am Ende?
Weil. Abends echt nicht mehr meine Tageszeit ist. Ehrlich gesagt, mittags schon nicht. Das war mal anders, ganz anders sogar. Es gab Zeiten, da mochte ich die Nacht wirklich gern … Doch jetzt? Fühle ich mich eher so wie der Hase in der Duracell-Werbung (wer sie nicht mehr kennt: hier) – der mit der Zink-Kohle-Batterie, dem schon nach der Hälfte des Alkaline-Durchschnittshasen die Power ausgeht. Morgens Quickstep, mittags langsamer Walzer, abends ausgetrommelt – so kann man die ersten acht Wochen meiner zweiten Mutterschaft in Duracellhasensprache übersetzen.
Hunger Nase Windelvoll
In den acht Wochen, die der Kleine jetzt bei uns ist, hat er nur selten nachts länger als drei Stunden geschlafen. Dass ich das erste Mal frenetisch mit einer Selbst-Five gefeiert und mich nach fünf Stunden Schlaf energiegeladen wie ein Kleinkind auf Zucker fühlte, ist wohl verständlich. Denn üblicherweise meldet er sich alle anderthalb bis zwei Stunden – jede Nacht. Nicht immer ist es der Hunger, der ihn plagt; ein kleiner Schnupfen macht das Atmen schwer, dann braucht er Trost und Tropfen, mal ist die Windel ausgelaufen oder explodiert, meist letzteres, und oft will er auch einfach nur kuscheln. Und dann schläft er natürlich längst nicht immer sangundklanglos wieder ein.
Ich habe seit acht Wochen also nur ein einziges Mal länger als drei Stunden am Stück geschlafen. Ach, was sag ich, am Stück? Meist nicht mal länger als drei Stunden pro Nacht. Nicht allzu ungewöhnlich für eine frischgebackene Mutter zwar, aber dennoch: kräftezehrend.
Murphy’s Mum
Falls Murphy eine Mutter hatte (und die hatte er gewiss), dann habe ich es sicher ihr zu verdanken, dass meine Nächte im Moment so gar nicht cool sind. Denn so sieht’s aktuell aus: In 9 von 10 Nächten schläft die Große durch, in 1 von 10 Nächten schläft der Kleine gut. Immer dann, wenn der Kleine diese eine gute Nacht hat, hat die Große diese eine schlechte. Wirklich. Immer. Ich denke mir das nicht aus, wie gerne würde ich! Die Wahrheit ist:
Zwischen 18 und 21 Uhr befinde ich mich irgendwo im Kreislauf Clusterfeeding, ins-Beistellbettchen-legen, wieder herausnehmen, Sicherheitskuscheln und Windelexplosion beseitigen. Liegt der Kleine endlich in seinem Bettchen – und ich klotzmüde daneben – öffnet sich schon bald die Tür, weil die Große ihr Lieblingsbuch im Schlafzimmer vergessen hat und auf keinen Fall ohne genau diese Geschichte einschlafen kann.
Irgendwann zwischen 22 und 24 Uhr ist es dann endlich ruhig in der Hütte. Die Freude währt kurz: Schon kommt die Große zu uns in Bett gekrabbelt. Die eineinhalb Stunden, in denen sie sich erst hustend an mich kuschelt, dann Durst hat, dann im Bett von Bruder schlafen will, dann weint, weil das nicht geht, vom Weinen wieder husten muss, vom Husten wieder Durst bekommt und so weiter, werden untermalt von einem sonoren väterlichen Schnarchen.
Irgendwann zwischen eins und zwei. Die Große schläft endlich endlich eng an meine linke Seite gekuschelt und mit einem Arm unter ihrem Kopf ein.
Keine zehn Minuten später. Der Kleine wird wach, nach fast fünf Stunden Schlaf. Die Self-five fällt diesmal recht traurig aus, und das nicht nur wegen der eingeschlafenen Hand und der Nackenschmerzen.
Irgendwann zwischen zwei und drei. Dass nach einer Stunde Stillen-Schreien-Schuckeln das Programm Husten-Heulen-Haarestreicheln wieder von vorn losgeht, überrascht nun wohl wirklich niemanden, nicht mal mich selbst.
Sie gähnen so laut
Kaum etwas zieht einem so konsequent den Stecker wie andauernder Schlafmangel. Stilldemenz ist nichts gegen das zombiehafte durch den Tag eiern nach einer Woche keine ruhige Nacht. An Denken nicht zu denken. In meinem Kopf fühlt es sich an, als hätten tausend kleine Siebenschläfer ihre Streichholzbettchen aufgestellt. Augenblicklich ziehen sie sich, bereit fürs Überwintern, ihre winzigkleinen gestreiften Schlafmützen auf die Köpfchen. Und gähnen so laut. Sie gäähhnen. Soooo laut. Mir gefällt der Gedanke, mich einfach zu ihnen zu legen.
Und doch steht man auch nach legendären Nächten am Morgen auf und ist irgendwie so was wie wach; zumindest wach genug, um eine quengelnde weil unausgeschlafene Zweijährige anzuziehen, Zähne zu putzen und ihr Frühstück zu machen und parallel einen Säugling zu versorgen, der keinesfalls auch nur eine einige Sekunde lang weg von Mamas Brust sein möchte. Keine Ahnung, wie der Körper das macht. Wie genau er den Schlafmangel kompensiert. Aber er macht es gut.
Was bleibt, ist die Erkenntnis: Wie auch immer es geht, es geht. Und die Hoffnung darauf, dass im Radio um kurz nach 9 ein gutes Lied kommt – und auch Murphys Mum irgendwann einmal schlafen muss!