Pappnasen und Pinneken
Über Auszeiten von der Vernunft
Bald ist Karneval. Obwohl diese Veranstaltung zu den Dingen gehört, die ich normalerweise nicht auf dem Schirm habe, weiß ich das in diesem Jahr ganz genau. Und zwar seit dem 23. Dezember. Dem Tag, an dem ich für ein spontanes Weihnachts-Familienfrühstück einkaufen ging und somit auf der Suche war nach Engel-Servietten, Lichterketten und goldverzierten Tischdecken. Dem üblichen Kitsch eben, den ich, im Gegensatz zu vermutlich den meisten Frauen meines Alters, nicht besitze. Im Kaufland, wo man sich noch wenige Tage zuvor fühlte wie im Tine-Wittler-Weihnachts-Paradies, traf mich regelrecht der Schlag: Teufelshörner statt Engelslocken, Plastik-Pistolen statt Bambus-Ruten, Lederminis statt Lametta. Da sich Federboas als Tischdeko zum Fest der Liebe nicht eignen, musste ich auf DUNI Standardware zurückgreifen. Das war aber das kleinere Problem. Vielmehr habe ich mich gefragt: Wenn sich doch alle darüber ärgern, dass es pünktlich ab September Spekulatius & Co. zu kaufen gibt (ich nicht, ich find‘ das super!) warum sagt dann keiner was bei dieser Invasion von Schreckgespenstern einen Tag vor Heiligabend?
Pappnase statt Schoko-Kekse
Ist übrigens nicht so, dass ich grundsätzlich etwas gegen die Idee von Karneval habe. Wer einmal Studentenreiter war, kann mit albernen Verkleidungen und zu viel Schnaps durchaus etwas anfangen. Ich besitze sogar eine rote Pappnase: Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn Schoko-Kekse nicht mehr helfen und hat im Büro schon so manche Stimmung zurück-gekippt. Ein wenig beneide ich die Rheinländer darum, dass sie ein Fest haben, das in einigen Städten genauso zur Kultur gehört wie Schwulenclubs oder der Kölner Dom. Wäre ich Rheinländer, ich liebte den Karneval! Nur dass wir hier eben in Osnabrück sind. Und damit Karneval zum Grausamsten wird, was die Stadt zu bieten hat.
Ich fand den Ossensamstag schon immer furchtbar. Meine Großeltern haben das Elend zum Glück früh erkannt und sind mit mir schon als Kind zum Umzug nach Damme gefahren. Da ergibt das bunte Treiben nämlich noch einen Sinn: Seit 1614 existiert die Dammer Carnevalsgesellschaft, und ich habe tatsächlich noch nicht einen einzigen Dammer kennengelernt, der nicht für mindestens eine Woche im Jahr zum Jecken wird. Die meisten Dammer sind Mitglieder einen „Wagenbaugruppe“, und das geht so: Ab dem 11.11. kommt man regelmäßig zusammen, um einzweidreivier Schnaps zu trinken. Und da Menschen zum Trinken ja immer einen Grund brauchen, bastelt man dabei abertausende Papierrosen. Damit man beim Carneval selbst dann auch ordentlich was verträgt. Und, ja, am Ende natürlich auch mit dem schönsten Wagen des Umzugs auftrumpfen kann. Der Prinz und sein Hofstaat ziehen währenddessen durch die Stadt, um nach und nach jeder Truppe einen Besuch abzustatten. Dazu gibt’s – natürlich – Schnaps. Alles zusammen genommen macht das Arbeiten in dieser Zeit nahezu unmöglich. Aber dafür hat man in Damme Verständnis. Geht hier ja jedem so.
Narrenmütze und Ententanz
So. Und das ist doch der wahre Grund von Karneval. Denn, mal ganz ehrlich, die vielzitierten bösen Geister vertreibt heute niemand ernsthaft mehr, allenfalls noch unter dem Bett seines Kindes. Aber den bösen Stimmungsgeistern, denen wird garantiert für einige tolle Tage der Garaus gemacht. Einmal im Jahr wird zusammen gefeiert, ob Alt oder Jung, Arm oder Reich, Cowboy oder Indianer. Man kann den Karneval albern finden. Aber wenn Geschäftsleute, die üblicherweise bis zu 16 Stunden täglich in Nadelstreifen verbringen, sich plötzlich eine Narrenmütze aufsetzen und zusammen den Ententanz tanzen – dann muss doch etwas dran sein!
Karneval, Fastnacht oder Fasching feiert man auf der ganzen Welt, vom Zuckerhut bis nach Venedig, vom Rheinland bis ins Oldenburger Münsterland. Ich mag derartige kleine Auszeiten von der Vernunft. Man sollte sie sich im Alltag viel häufiger gönnen. Ob mit Pappnase oder ohne.